Das Gansl gehört zum November wie das Eisstanitzel zum Juli. Als Fixpunkt der jahreszeitlichen Kulinarik begeistert es bereits im Entree als Süppchen, gerne mit Bröselknödeln, bevor der restliche Vogel gegrillt oder gebraten auf den Tisch kommt, am besten in einem Bett aus Rotkraut nebst flauschigen Erdäpfelknödeln.
Die Gans als lebendig lautes und posthum köstliches Getier war bereits bei den den Ägyptern und Römern bekannt. Heute ist es traditionell der Martinstag, an dem die Gans auf den Tisch kommt. Der 11. November, der in Weinbaugegenden auch die Trinkreife des jungen Weins bestimmt, ist der Tag der Grablegung des Heiligen Martin von Tours. Doch was verbindet den französischen Heiligen, der über den Umweg über das spätrömische Heer zum Christentum kam, mit dem duftenden Gericht, das heute ihm zu Ehren Martinigansl heißt?
Erwartungsgemäß ist das über 1600 Jahre nach dem Tod des Namensgebers nicht mehr eindeutig nachvollziehbar, denn gleich zwei Legenden verbinden Martin von Tours mit dem wohlschmeckenden Federvieh. Demütig soll er sich in einem Gänsestall versteckt haben, als man ihn zum Bischof von Tours machen wollte. heißt es, doch die Gänse schnatterten aufgeregt ansgesichts des unerwarteten Besuchs, und der so Entdeckte wurde dennoch geweiht. Weniger christlich klingt die Geschichte, in der sich eine Schar Gänse in die Kirche verirrte, in der Martin gerade zu einer Predigt anhob. Ob die störenden Watschler inhaltliche Einwände hatten, wurde nicht hinterfragt, bevor man sie als Hauptgang zum Festmahl einlud.
Allerdings sind Heiligengeschichten im Kontext der Geschichte mit einem kräftigen Körnchen Salz zu lesen. Historisch fundierter sind jedenfalls die Berichte, die unser Martinigansl auf das Lehenswesen zurückführen. Der Tag des heiligen Martin war der Tag, an dem die Bauern ihre herbstliche Lehenspflicht zu entrichten hatten, und diese bestand häufig aus Geflügel, also Hühnern und Gänsen. Und was läge näher, als eine frisch abgelieferte Gans unverzüglich zart zubereitet auf den adeligen Tisch zu bringen?
Egal, was man davon glauben oder nicht glauben mag, heute ist das Martinigansl aus dem November nicht wegzudenken. Besondere österreichische Tradition hat es im Burgenland, wo das stolze Watscheln des weißen Edelgeflügels geradezu zum historischen Ortsbild gehört. Aber essen lässt sich die Gans in allen Bundesländern – sowohl aus dem eigenen Backrohr als auch im Beisl des Vertrauens.
Die Zubereitung
Soweit zum historischen Hintergrund, nun zum kulinarischen Part des „Martinigansls“.
Für das „Martinigansl“ die Gans innen und außen mit kaltem Leitungswasser abspülen und danach abtrocknen. Die Gans innen und außen mit Pfeffer und Salz würzen.
Für die Fülle Toastbrot in kleine Würfel schneiden. Äpfel von der Schale befreien, Kerngehäuse entfernen und das Fruchtfleisch in kleine Würfel schneiden.
Die Karotten von der Schale befreien und in zirka 5 mm-Würfel schneiden. Zwiebel schälen und ebenfalls feinwürfelig schneiden. In einer Bratpfanne Butter zergehen lassen. Zwiebel, Karotten und Äpfel kurz anschwitzen, mit Honig und Majoran würzen. Die Menge unter die Brotwürfel vermengen, mit den Eiern und dem Obers mischen. Mit Salz, Pfeffer und Muskatwürze würzen.
Danach die Gans mit der fertigen Brotmasse füllen, mit Küchengarn oder Holzspießen verschließen.
Gans in geeignetes Bratgefäß setzen und etwa 2 cm hoch Wasser zugießen. Die Gans rund 1 Stunde im auf 170 °C aufgeheizten Rohr auf der Brustseite brutzeln. Später die Gans auf die andere Seite drehen und weitere 3 Stunden brutzeln. Zwischendurch immer mehrmals mit dem Bratensaft begießen.
10 Minuten vor Ende der Bratzeit Honig und Orangensaft mischen und die Gans damit einpinseln. Die Hitze auf 220 Grad Celsius erhöhen und die Gans noch so lange übergrillen, bis eine schöne braune Kruste entsteht. Das „Martinigansl“ tranchieren und mit Rotkraut und Semmelknödeln servieren. Wer es einmal anders mag, serviert das „Martinigansl“ mit Erdäpfeln und Karottengemüse.